Nur sieben Worte III - Sieben Worte

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Sieben Worte, die das Leben verändern - eine Liebesgeschichte, die die Zeit besiegt.

Teil 3 - 1990er bis 2000er: Auch Bernhard verunglückt bald darauf. Margot und er finden sich im nächsten Leben als Milena und Vincent wieder, diesmal als Nachbarskinder, nichts von der Vergangenheit wissend. Wird es Vincent gelingen, seine persönliche Hürde zu meistern, um gemeinsam mit Milena ihrer beider lang ersehntes Ziel zu erreichen?

Ein Roman über Schicksal, die Macht von Kleinigkeiten und davon, dass wir unserer Vergangenheit nicht entkommen können.

 

 

Inhaltsverzeichnis

1962 - Sieben Worte
Essenswagen und Neonröhren
Kalkrand an der Wasserlinie
1963 - Point of no return
Zwischen den Welten
1987 - Studienzeit
Vinzent
Milena
1994 - Die Babette
Halbsonnenaugen
1995 - Milena
1995 - Vincent
Die Nachricht
Entscheidung
Täuschung
1999 - Pyrrhussieg
Abwärts
2000 - Jo
Der Sonne entgegen
Der Kreis schließt sich
2007 - Epilog


 

Leseprobe

1962 - Sieben Worte

In Bernhard herrschte absolute Stille. Bis auf ein dumpfes Ufh ... Ufh ... Ufh, das gleichmäßig in seinen Ohren pulsierte.

Gleichzeitig griff Eiseskälte nach seinem Herzen. Warum bewegte sich Margot nicht? Er wollte aufspringen, schreien, Hilfe holen, sich auf den Schützen stürzen, er kam sich vor wie in einem Karussell. Mit noch mehr Angst machender Geschwindigkeit fegten die Bilder durch seinen Kopf und er hatte absolut keinen Plan, was er tun sollte. So saß er auf dem Bahnsteig, ihren Kopf in seinem Schoß und strich über ihr Haar, über ihre Wangen, schüttelte sie leicht, hielt aber inne, als ihm klar wurde, dass das nichts bewirkte.

»Margot ... Du ...«

Ihre Augenlider flatterten. »Mein Bernhard.« Er las es mehr von ihren Lippen ab, als dass er es hätte verstehen können.

»Bleib bei mir«, flüsterte er, wiederholte es lauter und schrie es dann hinaus: »Bleib bei mir, lass mich nicht zurück!«

Sie bewegte die Lippen.

Er verstand sie nicht. Er beugte sich so weit hinunter, wie es möglich war, hob ihren Kopf leicht an zu seinem Ohr.

»Wir werden uns wiedersehen«, flüsterte sie.

»Geh nicht, bleib bei mir ... bitte ...«

Sie lächelte ihn an.

»Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen«, stieß er schluchzend heraus und wiederholte die Worte noch einmal. Es kam ihm vor, als hörte er ein Dröhnen, das aus dem Boden heraufstieg. Für einen Augenblick drangen Geräusche zu ihm durch, doch es war nur dieser dumpfe Ton und ein Klirren. Angstvoll sah er sich um. Die Lampen, die sich über den Bahnsteig bogen, klirrten, und die Scheiben der Bahnhofshalle ebenfalls. Dann war der Spuk vorbei. Eine Gänsehaut kroch seinen Rücken hinauf. Margot hatte ihre Augen weit geöffnet. Es lag unendliche Traurigkeit in ihrem Blick. Es ging ihr besser, dachte er im ersten Moment, doch dann spürte er wieder die Kälte, die in ihm aufstieg und irgendwie brachte er sie mit dem Blick Margots in Zusammenhang. Sie schien etwas sagen zu wollen. Er versuchte, ihr noch näher zu kommen.

»Ach Bernhard, hättest du das nur nicht gesagt.« Er verstand es ganz deutlich, konnte sich aber absolut keinen Reim darauf machen. Was meinte sie damit? Was hätte er nicht sagen sollen?

Während er noch darüber nachdachte, spürte er eine leise Bewegung durch Margots Körper beben, so, als ob man ein Ruderboot sanft anstieß, es erzitterte und sanfte Wellen in die Runde schickte. Ihre Augen blickten ihn mit demselben bekümmerten Ausdruck an, nur waren sie nun in diesem Ausdruck versteinert.

»Hey, mein Liebes«, sagte er, streichelte ihre Wange, »alles wird gut.« Zugleich spürte er, das nichts mehr gut würde. Ihr Körper hatte sämtliche Spannung verloren, ihr Kopf rollte lose von einer Seite auf die andere, als er seine Hand von ihrer Wange nahm. Bei dieser Drehung ihres Kopfes wanderte ihr starrer Blick auf ihn zu, streifte ihn für den Bruchteil einer Sekunde und glitt in die andere Richtung weg. Und genau dieser Augenblick grub sich wie eine glühende Nadel in sein Herz, verbunden mit seinen Worten ›Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen‹. Und ihrer Antwort ›ach Bernhard, hättest du das nicht gesagt.‹

Etwas brach zusammen, so, als ob die Blase, in der er gesessen hatte, zersprungen wäre. Mit Explosionsgewalt brachen alle Eindrücke gleichzeitig über ihn her wie eine Raubkatze, die ihr letztes Hindernis überwunden hatte: der Bahnsteig, der quietschende, einfahrende Zug, das Zischen der Hydraulik, Schleifen von Stahl auf Stahl, rufende Menschen, Staub, der Geruch von Metall und Öl, eine Trillerpfeife.

Benommen blickte Bernhard um sich. Drüben stand Ptak, zerzaust. Zwei Männer lagen am Boden. Der Zug kam zum Stehen, die Türen wurden aufgestoßen, schnappten gegen die Seitenwände. Wie in einem Film nahm er den Fluss der Aussteigenden wahr, schaute und schaute, als hätte das alles nichts mit ihm hier zu tun. Er senkte den Blick auf Margot. Schüttelte den Kopf. Ein Ruck ging durch seinen Körper und er legte eine Hand auf ihre Augen, um sie zu schließen. Aufatmen. Wenigstens nicht mehr dieser Blick.

Jemand nahm ihn am Arm, wollte sie trennen, er hielt sie fest. Es war seine Margot, niemand anderes hatte hier etwas zu sagen. Der Griff wurde drängender, ließ nach und ein Mann mit dunkler Uniform kauerte sich neben ihn.

»Sie können nichts tun«, sagte er. »Ihre Frau?«

Bernhard nickte. Während der Mann mit ihm sprach, waren weitere Leute hinzugetreten und zogen Margot von ihm fort. Er hatte nicht die Energie, sich zu wehren. Dann war sie mit einem Mal weg, dafür eine Lache dunklen Blutes, das in einer Schleifspur von ihm wegführte. Der Blick, seine Worte, ihre Worte, die Blutspur. Es schien ihm, als wäre nun das Bild komplett mit seinen vier Ecken: Blick, Worte, Worte, Blut. Jemand griff ihm unter den Arm, half ihm auf, Schmerz schoss in seinen Fuß. Wer weiß wie lang er in dieser verdrehten Haltung auf dem kalten Boden gesessen hatte. Was ihm doch für seltsame Dinge durch den Kopf gingen. Er drehte sich um, sah zurück, blickte den Boden an, aha, so sieht er aus, hier habe ich eben noch gesessen. Seine Wahrnehmung schrumpfte auf ein paar Nebensächlichkeiten zusammen. Bahnhofshalle, zugig, weißer Rettungswagen, wie nobel, ein Citroen, die Stadt zog an ihm vorbei, dann weiße Wände, dann Dunkelheit.

 

Essenswagen und Neonröhren

Als Erstes nahm er ein humpelndes Klackern wahr, das er nicht einordnen konnte. Dazu Stimmen, gedämpft wie hinter einer Tür. Er bemühte sich, die Augen zu öffnen, doch es wollte nicht gelingen. Er gab auf und versank wieder im Nichts.

Neuer Versuch. Diesmal gelang es ihm, ein Auge zu öffnen. Er blinzelte. Eine Neonröhre blendete ihn. Wo war er? Mit aller Kraft stemmte er sich gegen seine Augenlider, konnte endlich beide öffnen. Das Licht biss in seine Nerven wie aggressives Gas. Als er versuchte, sich aufzurichten, hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde. Schritte kamen näher und das vorher gedämpfte Gewirr an Geräuschen rann herein wie eine bescheidene Überschwemmung.

»Ah«, sagte eine Stimme, »es geht ja schon wieder.«

Diese Stimme gehörte zu einer Frau in Weiß, genauer: zu einer Krankenschwester.

»Warum bin ich hier?«, wollte er sagen, aber es gelang ihm erst nach wiederholtem Räuspern im dritten Anlauf. Wieder hörte er das harte schlabbernde Geräusch und sah auf den Gang hinaus. Er sah gerade noch einen chromglänzenden Wagen mit Wäsche vorbeirollen. Das hintere Rad flatterte, als würde man ihm ständig Ohrfeigen verpassen. Neulich war er mit Margot spazieren gegangen, als ihnen ein Mann und eine Frau entgegenkamen, zwischen sich ein Kind schwingend, das, von beiden an einer Hand gehalten, Siebenmeilenstiefelschritte machte - einen für drei Erwachsenenschritte. Er atmete auf , die Ursache für das Geräusch entdeckt zu haben, das ihn beim ersten Aufwachen begrüßt hatte. Spazieren ... Margot. Margot! Mit einem Ruck war wieder alles da, so, als ob er eben vom Bahnsteig aufgestanden wäre. Wie war er hierher gelangt?

»Sie hatten einen Nervenzusammenbruch«, sagte die Krankenschwester.

»Wie geht ...«, begann er, wurde sich aber dann der Absurdität seiner Frage bewusst.

Sie sah ihn fragend an.

»Ach nein, nichts, das war Blödsinn«, murmelte er.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.

Er zog die Brauen zusammen. In Ordnung? Das sollte wohl ein Scherz sein.

Sie musste seinen aufkeimenden Ärger bemerkt haben, denn sie ergänzte schnell: »Ich meine, den Umständen entsprechend ... körperlich.«

Er nickte. Zwei widersprüchliche Bedürfnisse stritten in ihm. Er wollte schlafen, einfach nur vergessen. Andererseits machte ihn das untätige Liegen nervös. Nur - was sollte er tun? Er seufzte.

Die Schwester lächelte. »Ich muss bei Ihnen Fieber messen.«

»Bei einem Nervenzusammenbruch?«

»Routine.«

»Ach so, ja.« Er hob den Arm an, damit sie ihm das Glasröhrchen unter die Achsel schieben konnte.

»Ich komme gleich wieder. Sie lassen es einfach drin?«

Er nickte. Was denn sonst. Sie blickte noch einmal auf die Karte, die am Fußende seines Bettes hing, lächelte ihn kurz an und strebte der Tür zu, die gleich darauf ins Schloss fiel.

Was sollte er nun machen? Ja, was wohl. Weiter wie bisher. So wie vor dem Tag, als Margot in der Firma aufgetaucht war. Die Zeit zurückschrauben, durchatmen, vergessen und weitermachen. Zwar kam ihm seine Badewanne mit der wunderbaren Turbine uninteressant wie eine Schotterhalde vor und seine Arbeit in der Firma wie gedankenlose Fabrikarbeit. Aber das würde sich legen. Er würde alles vergessen. Würde seinen Elan wiederfinden, seine Begeisterung, man würde die Genialität der Turbine erkennen und dann würde alles anders. Er würde als Erfinder seiner Zeit in die Fachbücher eingehen und als sozialer Wohltäter obendrein. Aber das Lächeln, das er bei dem Gedanken erwartete, blieb aus. Stattdessen ging die Tür auf.

»Ist glaube ich ...«, begann er, unterbrach sich aber. Nicht die Schwester, sondern Edgar stand im Türrahmen. Er reckte den Hals vor, sah prüfend zum Bett hinüber, dann ging ein Grinsen über sein Gesicht.

»Mensch Bernhard, du bist wieder bei uns«, sagte er, kam näher und klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Haben uns mächtig Sorgen gemacht!«

»Ach, alles halb so wild.«

Edgar hob die Augenbrauen. »Halb so wild?« Er blies den Atem mit aufgeblasenen Backen aus. »Du warst drei Tage weg vom Fenster!«

Was? Drei Tage? Das konnte doch nicht sein. Verdammt, was war geschehen? Bernhard fühlte sich mit einem Mal klein, unwichtig und vor allem völlig allein und ungeschützt. Gerne hätte er seinen Kopf in das Kopfkissen gedrückt und losgeheult. Aber nicht vor Edgar. Also beschränkte er seine Gefühlsaufwallung auf ein etwas zittriges Seufzen.

Mit Schwung flog die Tür auf und die Schwester stürmte herein. »Tut mir leid, es ist was dazwischengekommen.« Bernhard war froh um das rüde Aufmischen der Stille und fingerte das Fiebermesser unter der Achsel hervor. Die Krankenschwester hielt den Kopf schief, als sie darauf sah.

»Alles in Ordnung?«, fragte Bernhard.

»Ja, aber ums Fieber geht es nicht.«

»Wann kann ich raus?«

»Sie müssen bis zur Visite morgen Früh warten.«

Bernhard war vorher nur einmal als Patient im Krankenhaus gewesen, damals mit einundzwanzig, zwei Wochen, nachdem seine Mutter gestorben war. Das war anlässlich einer Blinddarmoperation und auch damals war es Edgar gewesen, der ihn besucht hatte. Die verdammte Verlorenheit war so dick wie Melasse und Bernhard wäre am liebsten aus dem Bett gesprungen, damit sie ihn nicht überschwemmte. Unsinn, Unsinn, dämlicher, schalt er sich, bilde dir nicht so einen Quatsch ein! Er straffte sich innerlich und bemerkte, dass er seine Schultern zurücknahm und dass Edgar grinste.

»Na«, sagte der, »ich seh, du wirst schon wieder. Wirst sehen, das geht vorbei.« Er klopfte ihm abermals auf die Schulter. Dann blickte er zurück und angelte seine Aktentasche. Er drückte den Verschluss nieder und die kupferfarbene Zunge glitt durch den Haken. Nochmals sah er über die Schulter. Nun nahm er eine kleine Milchflasche heraus. Nur war der Inhalt nicht weiß und opak, sondern rot und durchsichtig. Ach Edgar! Eine Welle von Zuneigung schwappte durch Bernhard. Edgar schraubte die Flasche auf und reichte sie Bernhard. Dabei zwinkerte er ihm zu. »Kannste jetzt sicher brauchen.«
Bernhard lächelte und nahm einen tiefen Schluck. Dann hielt er die Flasche Edgar hin.

»Nee, trink du nur, ich hab Zuhause den Rest der Flasche.«

Bernhard glaubte zu spüren, wie der Alkohol im Magen auf vorbei eilende Blutkörperchen aufsprang. Sie mussten auf dem Weg nach oben gewesen sein, denn gleich darauf fühlte er, wie seine Gedanken unscharf wurden und ihre schmerzenden Konturen verloren. Er beobachtete, wie die Schärfe bei ihrem Verschwinden auch gleich die drohende Leere und Hoffnungslosigkeit unterhakte und mit sich nahm. Er bedachte Edgar mit einem weiteren Lächeln. Sein Freund! Dann trank er die Flasche in einem Zug leer und reichte sie Edgar zurück. Der verschraubte sie, ließ sie im Dunkel der Aktentasche verschwinden, schlug die Klappe zu und steckte die Zunge des Schlosses unter den Bügel. Das Schnappen ging im Geräusch der sich öffnenden Tür unter. Edgar hob verschwörerisch seine Augenbraue und Bernhard grinste. Gerade noch einmal gut gegangen.

Ein Arzt trat ein und blieb neben Bernhard stehen. Dann zog er leicht die Augenbrauen zusammen und schnüffelte. »Sie brauchen mich nicht anzuhauchen«, sagte er.

Bernhard zuckte die Schultern. »Medizin. Ein Hausmittel.«

»Ach ja natürlich.« Die Ausläufer der Lippen des Arztes zuckten kurz. »Wie fühlen Sie sich?«

»Tadellos. Wann kann ich raus?«

»Was würden sie dort tun?«

Das war keine gute Frage. Seine Wohnung und überhaupt die ganze Stadt fielen mit all ihrer Dunkelheit über ihn her. Er bemühte sich um einen Plauderton: »Nach Hause, lesen ... irgendwas in der Art.«

»Das ist gut«, sagte der Arzt, »Können Sie ein Bad nehmen? Das würde Ihnen guttun.« Badewanne ... Warum hatte er das sagen müssen. Die Badewanne war für ihn untrennbar mit Margot verbunden, war es doch der Tag darauf gewesen, als sie sich kennengelernt hatten. Und jetzt lagen die Teile in ihr und ... {Ok, das kapier ich nicht. Die Teile der Badewanne liegen in Margot? }nein, fort mit diesen Bildern.

»Vielleicht fahre ich auch auf Urlaub«, sagte Bernhard.

»Gute Idee, Herr Ferretti. Haben Sie jemanden, der auf Sie schaut?« Dieser Mann hatte eine Gabe, das Falsche zu sagen, das war unglaublich. Bernhard nahm sich zusammen. Hauptsache, er wurde ihn schnell los.

»Ja, ist keine Sache. Wann kann ich also raus?«

»Morgen. Morgen Früh nach der Visite.« Noch eine Nacht. Obwohl ... eigentlich ...  Gab es hier Notfallversorgung, wenn einem der Himmel auf den Kopf fiel?

 

 

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